Was ist schief gelaufen in der Pentateuch-Forschung der letzten zweihundert Jahre? Ist eine Bereinigung der Grundannahmen nötig, um aus der Sackgasse und zunehmendem Chaos herauszufinden? Diese Fragen standen im Hintergrund der internationalen Tagung «Paradigm Change in Pentateuchal Research», die vom 16. bis 18. März an der STH Basel stattfand.
Die sechzehn Referenten aus neun Ländern waren sich bei aller Unterschiedlichkeit der Positionen darin einig, dass der Stand der gegenwärtigen Pentateuch-Forschung unbefriedigend ist und dass der Trend in eine fragwürdige Richtung geht. In einer offenen, konstruktiven Atmosphäre wurde alles zur Disposition gestellt. Die Diskussion gewann dadurch an Intensität, dass jedem Referat eine vorbereitete Response zur Seite gestellt wurde.
Der Text hat Vorrang
Bereits im Eingangsreferat mit dem Titel «Time for a Change! Why Pentateuchal Analysis is in a Crisis» betonte Georg Fischer (Universität Innsbruck), dass die Zergliederung des Textes in Quellen und Redaktionen nicht dazu geführt hat, dass der biblische Text besser verstanden wird, sondern schlechter. Er forderte eine exegetische Arbeit, die den vorliegenden Text wieder respektiert.
Richard Averbeck (Trinity International University) doppelte nach, als Exeget müsse man das Problem zuerst bei sich selbst suchen, nicht beim Text. Dabei sei allen Dimensionen des Textes, der literarischen, der historischen und der theologischen, Aufmerksamkeit zu schenken.
Mit diesen beiden grundlegenden Referaten war der Ton der ganzen Tagung vorgegeben: Der Text muss Vorrang haben vor den Modellen und Theorien, die an ihn herangetragen werden. Dies betonte auch der Keilschriftrechtler Guido Pfeifer (Goethe Universität Frankfurt). Er stellte die Frage, ob man anstelle eines Paradigmenwechsels besser ganz auf vorgefertigte Paradigmen verzichten sollte, um den Texten besser gerecht zu werden. Und Eckart Otto (Universität München) forderte, die Literaturtheorie, die der Pentateuch über sein eigenes Entstehen enthält, ernster zu nehmen.
Methodik
Eng damit verbunden war die methodische Kritik an
der Pentateuch-Forschung, wie sie sich in den letzten beiden
Jahrhunderten etabliert hat, mit ihren Zirkelschlüssen und Methoden, um
den Text durch literarkritische Operationen den eigenen Theorien
anzupassen. Der Rechtshistoriker Matthias Armgardt (Universität
Konstanz), Mitorganisator der Tagung, bestand darauf, dass man
fundamentale Standards der rationalen Argumentation verletzt, wenn man
ohne Quelle gegen eine Quelle argumentiert.
Joshua Berman, Rabbi und
jüdischer Bibelwissenschaftler an der Bar Ilan Universität bei Tel
Aviv, zeigte meisterhaft an der Sintflutgeschichte in Gen 6-9, einem
Lehrtext der Quellenscheidung, acht methodische Fehler der
Quellenscheidung auf, u.a.: Die Theorie kreiert den Text und nicht der
Text die Theorie; willkürliche Kriterien, die teils angewendet werden,
teils nicht; Missachtung von ausserbiblischer Evidenz, etc.
Historischer Hintergrund
Verschiedene Referate widmeten sich aus ganz unterschiedlichen Perspektiven der Frage nach dem historischen Hintergrund der Pentateuch-Entstehung. Lina Petersson (Universität Uppsala) präsentierte die Ergebnisse ihrer im Abschluss befindlichen linguistischen Dissertation. Sie zeigt, dass es im Hebräischen eine Sprachentwicklung gab (sowohl in der Wortwahl und Semantik wie auch in der Syntax) und dass die «priesterlichen» Texte des Pentateuch, gemeinhin ins 6./5. Jahrhundert datiert, lückenlos eine alte, vorexilische Sprachstufe aufweisen.
Sandra Richter (Wheaton College), die aus gesundheitlichen Gründen nicht anreisen konnte und durch Skype-Konferenz zugeschaltet wurde, zeigte, dass sich die Ökonomie im Alten Israel über die Jahrhunderte stark veränderte. Das Deuteronomium, in dem z.B. der Tauschhandel vorausgesetzt wird (mit der seltenen Möglichkeit der Umwandlung der Ware in Silber, auf jeden Fall aber ohne Münzen) spiegelt öko-
nomische Verhältnisse, die einer frühen Zeit (ca. 11./10. Jahrhundert) entsprechen und überhaupt nicht in die heute angenommene Zeit der Entstehung (7.-5. Jahrhundert) passen.
John Bergsma (Franciscan University of Steubenville) wies darauf hin, dass der Pentateuch auf keinen Fall ein Jerusalemer Produkt aus dem 7.-5. Jahrhundert sein kann, das der Legitimation der Jerusalemer Kreise dient. Jerusalem ist nicht einmal genannt im Pentateuch, während Sichem mit dem Berg Gerizim in Genesis und im Deuteronomium eine Legitimation erfährt, Josef/Ephraim ist Juda vorgeordnet, Josua (Ephraim) ist Kaleb (Juda) vorgeordnet, etc.
Bergsma zufolge muss der Pentateuch aus einer Zeit stammen, als Jerusalem noch nicht etablierte Hauptstadt Israels, bzw. Judas war. Gegen ein jüdisch-samaritanisches Kompromissdokument aus nachexilischer Zeit, wie es gelegentlich vertreten wird, spricht, dass wir tatsächlich keinen Kompromiss sehen, sondern der Pentateuch den Norden bevorzugt.
Die zentrale Rolle von P
Als letzte Festung der Pentateuch-Forschung kann
die Unterscheidung in priesterliche (P) und nichtpriesterliche Texte des
Pentateuchs gelten. Fast alle Theorien zur Entstehung des Pentateuch,
aber auch des ganzen Alten Testaments, orientieren sich an der Datierung
der priesterlichen Texte ins 6./5. Jahrhundert. Diverse Referate
zeigten auf, dass diese unhinterfragte Fixierung von P wohl das
Hauptproblem all der Aporien der gegenwärtigen Pentateuch-Forschung ist.
Während Georg Fischer und Joshua Berman die Unterscheidung von P und
Nicht-P grundsätzlich infrage stellten, zeigten andere Referate
(Benjamin Kilchör, Markus Zehnder, Kenneth Bergland, Jan Retsö) auf,
dass sich viele Probleme nicht nur der Pentateuch-, sondern auch der
Propheten-Forschung lösen, wenn man den P zugeschriebenen Texten
erlaubt, älter zu sein, was nach Lina Petersson linguistisch nachweisbar
ist.
Paradigmenwechsel?
Natürlich wurde mit dieser Tagung kein Paradigmenwechsel vollzogen. Die Teilnehmer waren realistisch genug, zu sehen, dass diese Positionen nach wie vor nicht mehrheitsfähig sind. Es war aber, wie Referenten bemerkten, wohl das erste Mal, dass in dieser Breite Spezialisten, die mit der gegenwärtigen Forschung nicht einverstanden sind, zusammenkamen, um auszuloten, in welche Richtung ein Paradigmenwechsel gehen könnte. Diese Zusammenarbeit wird in Zukunft zu intensivieren sein.
Programme and Timetable (Paradigm Change in Pentateuchal Research)
Thursday, 16 March 2017
09.15 | Opening |
09.30 –10.30 | Georg Fischer, University of Innsbruck, Innsbruck, Austria Time for a Change! Why Pentateuchal Analysis is in a Crisis |
10.30 – 11.00 | Coffee Break |
11.00 – 12.00 | Richard Averbeck, Trinity International University, Deerfield IL, USA Reading the Torah in a Better Way: the Manifold Unity of Narrative, Law, and Priestly Writing |
12.00 – 13.30 | Lunch Break |
13.30 – 14.30 | Matthias Armgardt, University of Konstanz, Konstanz, Germany The Law Codes in the Pentateuch |
14.30 – 15.30 | Guido Pfeifer, Goethe University, Frankfurt a.M., Germany The Pentateuch Paradigm and Ancient Near Eastern Legal History – a Look back from the Environment |
15.30 – 16.00 | Coffee Break |
16.00 – 17.00 | Markus Zehnder, Biola University, Los Angeles, USA The Relationship of Leviticus 26 and Deuteronomy 28 |
17.00 – 18.00 | Benjamin Kilchör, STH Basel, Basel, Switzerland Wellhausen’s Five Pillars for the Priority of D over P/H and their Lost Sustainability |
Friday, 17 March 2017
09.00 – 10.00 | Joshua Berman, Bar Ilan University, Tel Aviv, Israel The Limits of Source Criticism: The Flood Narrative in Genesis 6–9 |
10.00 – 11.00 | Lina Petersson, Uppsala University, Uppsala, Sweden The Linguistic Profile of the Priestly Narrative of the Pentateuch |
11.00 – 11.30 | Coffee Break |
11.30 – 12.30 | Eckart Otto, University of Munich, Munich, Germany Deuteronomy as the Legal Completion and Prophetic Finale of the Pentateuch |
12.30 – 14.00 | Lunch Break |
14.00 – 15.00 | Kenneth Bergland, Andrews University, Berrien Springs MI, USA The Reception of Torah in Jer 34 as a Legal Blend of Lev 25 and Deut 15 |
15.00 – 16.00 | Carsten Vang, Lutheran School of Theology Aarhus, Aarhus, Denmark The Non-Prophetic Background for the King Law in Deut 17:14-20 |
16.00 – 16.30 | Coffee Break |
16.30 – 17.30 | John Bergsma, Franciscan University of Steubenville, Steubenville OH, USA A ‚Samaritan‘ Pentateuch? The Implications of the Pro-Northern Tendency of the Completed Torah |
17.30 – 18.00 | Koert van Bekkum, Theological University Kampen, Netherlands The Divine Revelation of the Name. Warranted and Unwarranted Confidence in the Literary-Critical Analysis of Exodus 3 and 6 |
Saturday, 18 March 2017
09.00 – 10.00 | Jan Retsö, Gothenburg University, Gothenburg, Sweden The Tabernacle Description and the Dating of the Priestly Code: A Comparative Religious Approach |
10.00 – 11.00 | Sandra Richter, Wheaton College, Wheaton IL, USA Silver in the Book of Deuteronomy: A Key to the Provenance of the Book? |
11.00 – 11.30 | Coffee Break |
11.30 – 12.30 | Pekka Pitkänen, University of Gloucestershire, Cheltenham, England Reconstructing the Social Contexts of the Priestly and Deuteronomic Materials in a Non-Wellhausian Setting |
12.30 – 14.00 | Lunch Break |
14.00 – 15.00 | Final Discussion |