Empirische Analysen und theologische Reflexionen
(Arbeiten zur Praktischen Theologie 80)
Stefan Schweyer, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2020, 608 S.
Was sind die typischen Merkmale freikirchlicher Gottesdienst? Und was sind die theologischen Beweggründe, die solche Gottesdienstformen motivieren?
Diese Fragen hat Stefan Schweyer in einem Forschungsprojekt ausführlich untersucht. Er nahm an unterschiedlichen freikirchlichen Gottesdiensten in der deutschsprachigen Schweiz teil und führte Interviews mit Personen, die für die Gottesdienste verantwortlich waren. Die Studie wurde im Herbstsemester 2019 von der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg (Schweiz) als Habilitationsschrift angenommen. Nun liegt die Studie in gedruckter Form in der Reihe „Arbeiten zur Praktischen Theologie“ (Evangelische Verlagsanstalt Leipzig) vor.
Zwei Streiflichter aus den Forschungsergebnissen sollen hier vorgestellt werden:
Ein ganz typisches Merkmal freikirchlicher Gottesdienste ist die Nähe zur Alltagskultur. Die sonntäglichen Gottesdienste sollen sich nicht so stark vom alltäglichen Leben unterscheiden. Die Gebäude haben oft eher den Charakter von Mehrzweckgebäuden als von Kirchen. Es gibt keine extra gottesdienstlichen Kleider. Man bemüht sich um eine alltägliche Sprache. Die Begegnungen in und um den Gottesdienst, die für freikirchliche Gläubige sehr wichtig sind, haben einen familiären Charakter. Man spricht „per Du“. Im Hintergrund steht das theologische Motiv, dass der ganze Alltag Gottesdienst ist und dass daher der Sonntag nicht „abgehoben“ sein soll vom Rest des Lebens. Es gilt, dieses biblische Motiv zu würdigen. Gleichzeitig lässt sich aber auch feststellen, dass dieses Konzept zu einer Säkularisierung des Gottesdienstes führen kann. Weiterführend lässt sich also fragen: Wie können Gottesdienste gestaltet werden, dass sie den Alltag prägen, sich aber nicht von einem säkularisierten Alltag bestimmen lassen?
Ein zweites Merkmal: Die Gebete werden aus dem Stegreif formuliert. Es gibt keine Gottesdienstbücher, in welchen Gebetstexte vorgegeben oder vorgeschrieben sind. Gemeinsame Gebete, wie beispielsweise das Vaterunser oder das Psalmengebet, werden in Freikirchen selten praktiziert – manchmal auch aus Abgrenzung gegenüber anderen christlichen Traditionen. Die freie Gebete sind nach freikirchlichem Verständnis Ausdruck einer lebendigen und persönlichen Gottesbeziehung. Mit Gott muss man nicht formelhaft sprechen – sondern mit Gott kann man so sprechen, wie man mit einem Freund spricht. Zweifellos gehört das freie Gebet zum christlichen Gebetsrepertoire. Und es ist gut, dass Freikirchen diese Gebetsform pflegen und fördern. Dabei können aber auch Einseitigkeiten entstehen. Es ist wohl nicht zufällig, dass Jesus am Kreuz mit Psalmworten gebetet hat („Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“, Mt 27,46 & Ps 22,2; „In deine Hände befehle ich meinen Geist“, Lk 23,46 & Ps 31,6). Die Gebetsworte der Bibel haben eine starke Kraft. Sie geben einer Gemeinschaft Worte zum Beten. Sie geben auch EInzelmenschen die Chance, zu beten, selbst dann, wenn mal die eigenen Worte fehlen. Und sie inspirieren das freie Gebet. Es erscheint daher sinnvoll, im Gottesdienst unterschiedliche Gebetsformen zu pflegen, so dass die Weite und Breite des Gebetslebens im Gottesdienst erfahren wird und auf diese Weise auch das alltägliche Beten formt und belebt.
In der Studie werden viele weitere gottesdienstlichen Merkmale untersucht, unter anderem das Singen, die freien Beiträge im Gottesdienst, die Art und Weise, wie Abendmahl gefeiert oder die Kollekte eingesammelt wird. Theologische Motive wie das Allgemeine Priestertum oder das missionarische Anliegen werden kritisch und konstruktiv diskutiert. Daraus entsteht eine Gesamtbild, wodurch sich freikirchliche Gottesdienste auszeichnen und wie das gottesdienstliche Handlungsrepertoire erweitert werden könnte.
Eine Vorschau zur Studie ist hier zugänglich (https://www.schweyer.ch/wp-content/uploads/2020/07/Schweyer-Freikirchliche-Gottesdienste-Vorschau.pdf). Das Buch kann direkt beim Verlag EVA Leipzig oder überall im Buchhandel bezogen werden (ISBN: 978-3-374-06710-7), auch als E-Book-Version (978-337-406711-4).
Stefan Schweyer hat schon mit über 60 Freikirchen aus unterschiedlichen Denominationen Gottesdienstseminare durchgeführt, um mit den verantwortlichen Personen herauszuspüren, wie die lokale Gottesdienstkultur positiv weiterentwickelt werden kann. Bei Interesse an einem Seminar kann man sich gern mit Stefan Schweyer in Verbindung setzen (https://www.schweyer.ch/seminare/).