Sven Grosse Sammelbände

Forschung Die Bedeutung der historisch-theologischen Forschung für die Gemeindepraxis

Christlicher Glaube gründet immer in der Bibel. Wir glauben an Jesus Christus, wie er uns in der Bibel entgegentritt. Das ist wahr und diese Wahrheit darf nie aufgegeben werden. Und zugleich gilt: wenn die Wurzeln, die uns mit der Bibel verbinden, nicht möglichst viel umfassen von der Geschichte der Christenheit, die von der Bibel her bis zu uns hin unterwegs gewesen ist, dann ist unser Glaube sehr schwach verwurzelt, und wir können sehr leicht von unserem Grund weggerissen werden. Es ist eine Illusion zu meinen, wir könnten von der schmalen Basis unserer Gegenwart aus uns mit der Bibel in Verbindung setzen, und diese Verbindung könnte dann durch alle Stürme, die auf uns noch zukommen werden, hindurchtragen. Wir brauchen vielmehr die Wolke von Zeugen (Hebr 12,1), die uns vorausgegangen sind. Diese Wolke, die in Hebr 11 mit Abel beginnt und die der Briefautor fortsetzt bis hin zu Christen seiner eigenen Zeit, ist fortlaufend vermehrt worden bis auf den heutigen Tag. Von dieser Wolke von Zeugen sind wir umgeben, und sie ermutigt uns, zu laufen „mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist“.

Ich spreche hier von der guten, biblisch begründeten Tradition der Christenheit – wir müssen uns auch auskennen in den Fehlwegen und Irrtümern, in welche die Christenheit immer wieder hineingeraten ist. Das ist genauso, wie wir im Alten Testament, in den Königebüchern von einem König nach dem anderen lesen, dass er getan hat, was Gott missfiel – abgesehen von wenigen Ausnahmen – , wenn wir im Neuen Testament nicht nur von Philippus lesen, sondern auch von Simon dem Zauberer (Apg 8,5-24).

Genau betrachtet, hat die Kirchengeschichte Leistungen hervorgebracht, auf die jede heutige Gemeinde angewiesen ist und die in den Gemeinden bekannt und wertgeschätzt sein müssen. Historisch-theologische Forschung dient dazu, diese Schätze zu heben, zu sichten, zu bewahren und weiterzugeben.

Ich will hier kurz nennen, was wir aus den verschiedenen Perioden der Kirchengeschichte in der derzeit üblichen Einteilung lernen können:

Alte Kirche

Alte Kirche (d. h. vom Ende der Apostelzeit bis ca. 500 oder 600 n. Chr.): Hier ist die spannende Frage: Wie ging es weiter, nachdem alle Apostel gestorben waren? Die Kirche lernt damals zu begreifen, dass sie die Schrift nicht nur in den Schriften von Mose, den Propheten und Psalmen (d. h. den übrigen alttestamentlichen Schriften, Lk 24,44) vor sich hat, sondern auch in den Schriften der Apostel oder von Gläubigen, die von den Aposteln dazu autorisiert waren, d. h. dass die Bibel als etwas zweifältiges, Altes und Neues Testament vor ihr liegt (vgl. 2. Petr 3,1f.). Sodann begriff sie von Stufe zu Stufe mehr, dass Gott dreieinig ist: Vater, Sohn und Heiliger Geist, und dass Jesus Christus wahrer Mensch und wahrer Gott ist.

Mittelalter

Dann kommt das Mittelalter, das man oft das „finstere Mittelalter“ genannt hat. Eine freie Gemeinde in der Schweiz hat mittlerweile eine Vortragsreihe „Das helle Mittelalter“, und sie tut gut daran. Dunkles und Helles ist in dieser langen Zeit (ca. 500 – ca. 1500 n. Chr.) gemischt – wie in den anderen Zeitaltern auch. Wir können hier sehr viel von dem beeindruckend klaren, genauen Denken eines Thomas von Aquin (1225–1274) lernen, nicht zuletzt für unsere apologetische Arbeit, oder von Bernhard von Clairvaux († 1153) und seiner Herzensfrömmigkeit – die Reformatoren und der ältere Protestantismus haben ihn darum hochgehalten.

Reformation

Was der Reformation zu danken ist – ich nenne hier nur die Namen Luther, Melanchthon, Zwingli, Calvin, aber auch Täufer wie Menno Simons – müsste eigentlich gar nicht in Erinnerung gebracht werden. Ich nenne hier nur das Stichwort „Rechtfertigung allein aus Glauben“ – das ist nie zu vergessen.

Neuzeit

Schliesslich die sogenannte Neuzeit, die noch bis jetzt andauert: Im 18. Jh. setzt die Säkularisierung, d. h. die Entchristlichung Europas ein, gegen die es aber auch immer wieder Wellen einer Rechristianisierung gab. Christian Friedrich Spittler in Basel ist ein Beispiel dafür. Die „Moderne“ ist schon lange nicht mehr modern, und von den christlichen Kritikern eines Modernismus, der christliche Essentials aufgibt, haben wir sehr viel zu lernen.

Theologiegeschichte als Dogmatik
Gesammelte Aufsätze – Band 1
ISBN 978-3-374-07203-3
Brennpunkte der Theologiegeschichte
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Prof. Dr. Sven Grosse
Fachbereichsleiter Historische Theologie an der STH Basel

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