STH Basel Studienreise Griechenland 2017

Studienreise Griechenland Studienreise 2017

Von dem Philippi aus der Zeit des Paulus existieren heute nur noch einige Überreste. Als wir aus dem Reisebus aussteigen, zeigen sich einige von uns fast enttäuscht, hatten sie doch mehr als nur ein paar Steinhaufen erwartet. Diese vermeintlich wahllos umhergeworfenen Steine erweisen sich jedoch schnell als Fundgrube für interessante Entdeckungen: ein griechisches Theater, dessen Grundlegung auf das 4. Jhdt. v. Chr. zurückgeht; die Spuren einer Basilika aus dem 4. Jhdt. n. Chr. und damit eine der ältesten Kirchen Europas; und im Zentrum die Überreste der Agora («Markt»; vgl. Apg 16,19) und des Bemas, also der Rednertribüne bzw. des «Richterstuhls» an der Agora, vor dem Paulus und Silas wohl ausgepeitscht wurden.
Wer das heutige Griechenland bereist, um der biblischen Erzählung zu folgen, wird immer wieder vor solche Herausforderungen gestellt: Tote Steine geben von selbst kein Zeugnis über die eigene Geschichte ab; mit etwas Forschungsarbeit werden die antiken Orte jedoch in der Vorstellung der Reisenden zum Leben erweckt. Griechenland verlangt dem Interessierten also Arbeitsaufwand ab, aber wer die Mühe nicht scheut, wird mit einer Fülle an Einsichten in die antike Philosophie und die neutestamentliche Theologie belohnt. Dabei treten diese unterschiedlichen Disziplinen immer wieder im Verbund auf, wie wir Studierenden es im Unterricht nur selten erleben.

Mit der Aufgabe, uns die antiken Orte zu erschliessen, war unsere 57-köpfige Reisegruppe nicht auf sich alleine gestellt. Quasi in persona wurden die Fachbereiche Neues Testament und Philosophie auf der Reise von Prof. Dr. Jacob Thiessen und Prof. Dr. Harald Seubert verkörpert. Dabei erhielten sie einheimische Unterstützung von Kremasia Hatzmichail, unserer hervorragenden Studienreiseleiterin. Ausserdem war Petrus dabei, zwar nicht der Apostel, sondern unser Busfahrer. Aber ob der Begleiter Jesu den Bus so gut durch Griechenland gelenkt hätte wie unser Petrus, sei einmal dahingestellt.

Unsere Reise nimmt ihren Anfang in Thessaloniki. Die heute zweitgrösste Stadt Griechenlands erhebt sich – anders als etwa Philippi – über dem Fundament der antiken Stadt, sodass archäologische Zeugnisse aus der Zeit des Paulus rar sind. Folglich besichtigen wir hier nur die alte Stadtmauer, den mächtigen Galeriusbogen und ein paar Kirchen. Dafür ergibt sich direkt an diesem ersten Abend die Möglichkeit, etwas über Gemeindebau im heutigen Griechenland zu erfahren. Timotheos und Dorothea Antoniadis berichten über ihre Arbeit und die Herausforderung, in einem Land, in dem die Menschen zu 97 Prozent dem orthodoxen Christentum angehören, das Evangelium zu verkündigen.

Nach einem Abstecher in den Nordosten des Landes und dem erwähnten Besuch von Philippi wenden wir uns gen Südwesten. Dabei folgen wir Paulus‘ Reise auf der Via Egnatia, deren Überreste wir schon in Philippi betreten konnten und nun ab und zu aus dem Reisebus erspähen. Die heutige Autobahn, die von Philippi über Thessaloniki weiter gen Westen führt, folgt recht exakt dieser antiken Strasse. Hinter Thessaloniki biegen wir jedoch vom Kurs der Via Egnatia ab, um wie Paulus nach Beröa (heute Véria) zu gelangen. Auch hier existieren nur noch wenige Zeugnisse aus paulinischer Zeit. Dafür wurde vor gut 50 Jahren ein imposantes Paulusdenkmal errichtet, das an den Aufenthalt des Apostels in der Stadt erinnert. Das alte jüdische Viertel regt zum Nachdenken über Paulus an: Befand sich hier womöglich die Synagoge, in der er zu den Bewohnern Beröas predigte?

Mit den nächsten Stationen verlassen wir die Route der paulinischen Missionsreisen. Doch diese Abweichung ist es wert: Zum einen können wir die makedonischen Königsgräber in Vergina besuchen, zum anderen erwarten uns mit den Meteora-Klöstern beeindruckende Bauten, die im späten Mittelalter in schwindelerregender Höhe auf an sich schon imposante Sandsteinfelsen erbaut wurden. Welcher Ort eignet sich besser, um sich der griechischen Orthodoxie zu widmen? Kremasia gibt uns in einer der Klosterkirchen einen Crashkurs zur Ikonographie. Wie fremd sind uns, die wir durch den Protestantismus geprägt sind, doch die vielen Motive und Bilder! Mit Kremasias Hilfe aber verstehen wir schnell die Grundlagen. In den nächsten Tagen werden wir uns immer wieder freuen, Bekanntes und gerade Gelerntes wiederzuerkennen. Professor Seubert liefert zudem einen kurzen Überblick über die Entstehung und Entwicklung der orthodoxen Kirchen. Dabei betont er, dass es durchaus einige Berührungspunkte mit dem Protestantismus gibt. Nicht umsonst hätten schon einige Reformatoren Kontakt und den Dialog mit dem Osten gesucht.

Auch der nächste Ort, Delphi, liegt fernab der paulinischen Route, ist aber für das Verständnis der Bibel äusserst aufschlussreich. Für die Griechen war dies nämlich nicht alleine ein kultisch herausragender Ort, sondern sogar der Nabel der Welt, was durch den Omphalos-Stein symbolisiert wurde. Hier konnte das Orakel um Rat gefragt werden, hier fanden aber auch die Pythischen Spiele, nach den Olympischen die zweitwichtigsten Panhellenistischen Spiele der Antike, statt. Genau hier gibt uns Professor Thiessen einen Überblick über die Bezüge zum Sport in den Paulusbriefen. Uns wird deutlich, dass Paulus es keineswegs scheute, immer wieder griechische Bräuche und Ausdrücke zu nutzen, um Vergleiche zu ziehen und sich verständlich auszudrücken. Sein Vorgehen kann in diesem Sinne als gelungene Kontextualisierung bezeichnet werden. Doch nicht alleine in dieser Hinsicht bietet Delphi wertvolle Einsichten. Hier wurde zudem die sogenannte Gallio-Inschrift entdeckt. Obwohl unscheinbar wirkend, hat sie unschätzbaren Wert, ist sie doch neben dem Claudius-Edikt der einzige Anhaltspunkt, um die biblische Chronologie mit konkreten Jahreszahlen zu verbinden.

Nun kommen wir endlich nach Korinth. Diese Stadt lag strategisch gut, hatte einen grossen Hafen und war somit ein Umschlagplatz der Güter, aber auch der Ideen und Kulturen. Das vor Augen versteht man besser, wieso Paulus sich in den Briefen an die Korinther mit solch vielfältigen ethischen Problemen auseinandersetzen musste. In Korinth selber wurde er vor den Bema (Rednertribüne an der Agora, die auch dem Gericht diente und im Neuen Testament als «Richterstuhl» gekannt ist) geführt. Professor Thiessen lässt uns diese Gerichtsszene nachspüren, indem er selber auf den gut erhaltenen Bema steigt und seine Untersuchungen zu Korinth von dort aus präsentiert. Auch auf Paulus hat der «Richterstuhl» des Statthalters theologisch offensichtlich nachgewirkt, nutzte er ihn doch später als Anschauungsbeispiel für das Gericht Gottes (2Kor 5,10).

Ein letztes Mal verlassen wir die Route des Paulus, um Mykene und Epidaurus zu besuchen. Am südlichsten Punkt der Reise angekommen, geht es wieder gen Norden zu dem Endpunkt der Reise, der Hauptstadt Athen. Sind im Laufe der Reise immer wieder Themenbereiche angeschnitten worden, so kommt es hier zu der finalen Bündelung. Hier treten uns die verschiedensten Strömungen griechischer Philosophie und der eindrückliche biblische Bericht über Paulus in Athen vor Augen. Sinnbildlich dafür steht besonders der Areopag, den wir nach der Besichtigung der Akropolis besteigen. Hier gab Paulus den Athenern Zeugnis über Jesus Christus ab, hier setzte er sich mit Epikureern und Stoikern auseinander. So ist es besonders diese Rede von Paulus, wie Professor Seubert darlegt, in der es zu einem Zusammentreffen von Athen und Jerusalem, von Denken und Offenbarung kommt. Paulus‘ Rede kulminiert in Tod und Auferstehung Christi, was zum Stein des Anstosses für die Athener wurde und letztendlich auch der entscheidende Unterschied zwischen dem griechischen Denken und der christlichen Offenbarung ist. So bleibt am Ende der Reise und der Auseinandersetzung mit Philosophie und Neuem Testament besonders diese zentrale Einsicht über die Relevanz des Evangeliums über alle Kulturen und Zeiten hinweg.
Ganz praktisch wurde uns dies noch von Heidi Henschel, die ehemals Latein an der STH Basel unterrichtete, vermittelt. Sie arbeitet seit einigen Jahren unter Flüchtlingen in Athen und berichtete von ihrem Dienst. So wurden wir an diesem letzten Abend daran erinnert, dass auch die Menschen in Athen das Evangelium brauchen, sowohl zu Zeiten des Paulus als auch heute.

Benjamin Splitt, Bachelor-Student

Impressionen

Diesen Beitrag teilen: