Wir befinden uns am Jordan, unsere Reiseleiterin zeigt uns eine Karte aus dem sechsten nachchristlichen Jahrhundert. Diese weist darauf hin, dass in etwa hier, unweit des Toten Meeres und östlich der Stadt Jericho, Jesus getauft worden sein soll. Links neben uns feiert eine russisch-orthodoxe Reisegruppe ihr Taufgedächtnis, indem sich die Teilnehmer euphorisch gegenseitig in den Jordan tauchen. Auf der anderen Uferseite, die bereits zu Jordanien gehört, stehen ebenfalls Touristen und filmen die eindrückliche Zeremonie. Rechts von uns versucht ein junger Lehrer, seine israelischen Schulklasse für die Bedeutung des Ortes zu begeistern. Ihr Interesse wird jedoch erst geweckt, als einer der zahlreichen Soldaten, die das Ufer auf israelischer Seite bewachen, mit seinem schweren Maschinengewehr vor sie tritt und von seinem Soldaten-Alltag erzählt. Und in Mitten des Tumultes stehen wir, 50 Personen aus der Schweiz, und blicken teils skeptisch, teils mit grosser Faszination um uns.
Dieser kurze Moment am Jordan ist nur eine von vielen Szenen, die beispielhaft für unsere Studienreise durch Israel stehen. Während der zehntägigen Rundfahrt durch das Land betreten wir nicht alleine bedeutende biblische Orte, sondern begegnen dabei immer auch den Einwohnern Israels selbst. Wir werden nicht nur mit den Gegebenheiten zu biblischen Zeiten, sondern ebenfalls mit den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen konfrontiert. Israel heute, das beinhaltet beeindruckend vielfältige Natur auf engstem Raum, eine schier unüberblickbare Mixtur verschiedener Religionen, Kulturen und Ethnien und nicht zuletzt einen brisanten politischer Zustand, der die globalen Machtverhältnisse widerspiegelt.
Durch diese verschiedenen Impressionen leitete – wie auch schon vor zwei Jahren – unser Rektor Professor Jacob Thiessen als Repräsentant der STH Basel, die die Studienreise in Kooperation mit der Reiseagentur Kultour organisiert hatte. Unterstützung erhielt Professor Thiessen diesmal von der deutschen Reiseleiterin Silke Warnecke Levy, die uns – bestens gerüstet durch ein Theologiestudium und über 20 Jahre Leben in Israel – äusserst kompetent führte. Nicht vergessen werden darf unser Busfahrer Jezik, der uns nicht nur sicher über die Strassen Israels lenkte, sondern uns durch seinen sympathischen Humor in so manchen müden Momenten wach hielt.
Unsere Rundreise beginnt in der Wüste Negev und führt uns von Masada hinab ans Tote Meer und dem Jordangraben entlang bis an den See Genezareth, wo wir für drei Tage Halt in Tiberias machen. Von hier aus lässt sich der Nordosten des Landes ideal erkunden, u. a. die Ausgrabungsstätte in Hazor und die Golanhöhen, die wir über einen steilen Pass und einem Zwischenhalt in einem Drusendorf erreichen. Dieser Teil Israels stand vor zwei Jahren nur teilweiseauf dem Reiseprogramm. So sind wir besonders dankbar, die Hochebene, die wie eine Art Schutzwall zwischen der israelischen Ebene und Syrien liegt, besichtigen zu können. Von überall sichtbar erhebt sich in Mitten der Höhen der Berg Hermon, der mit seinen gut 2800 Metern der höchste Berg Israels ist.
Professor Thiessen hält es für sehr gut möglich, dass es sich bei dem Berg der Verklärung um eben diesen Hermon und nicht um den Tabor handelt. So heisst es in Mt 17, dass Jesus Petrus, Jakobus und Johannes nach sechs Tagen hinauf auf einen hohen Berg nahm. Es ist gut vorstellbar, dass er mit seinen Jüngern in einem sechstägigen Fussmarsch von Cäsarea Phillippi aus auf den Hermon wanderte und ihm dort Elia und Mose erschienen.
Wir sind froh, dass wir nicht laufen müssen, sondern Jezik haben. Nach einem Zwischenstopp am Fusse des Hermon bringt er uns an die syrische Grenze. Der Sicherheitsstreifen, der die beiden Länder seit dem Jom-
Kippur-Krieg voneinander trennt und von UNO-Soldaten beaufsichtigt wird, ist nur einen Steinwurf entfernt. Wir haben gute Sicht und können bis zu einer Vorstadt von Damaskus blicken. Als es ganz still ist, hören wir sogar Bombendetonationen. So ist der Krieg, von dem wir im fernen Europa nur die Auswirkungen erleben, auf einmal ganz nah.
Die Golanhöhen hinab geht es noch viel steilere Serpentinen, als hinauf. Hat sich hier womöglich eine Herde Schweine einst die Hänge hinab in den See Genezareth gestürzt? Die Vorstellung ruft in jedem Fall spektaku-
läre Bilder hervor. In der Region am See Genezareth gibt es so einiges zu besichtigen; Jesus wirkte nämlich die meiste Zeit zwischen Nazareth, der Stadt, in der er aufwuchs, und Kapernaum, wo er sich später niederliess. So passieren wir in diesem Teil der Reise viele Orte, deren Namen uns – neben den bereits erwähnten – aus den ersten Kapiteln der Evangelien nur zu gut bekannt sind, wie zum Beispiel Kana, Chorazin, Magdala und Bethsaida.
Nach dieser Zeit im Nord-Osten Israels durchqueren wir Galiläa und Samaria und gelangen nach kurzen Zwischenstopps in Haifa (Karmel) und Cäsarea Maritima nach Tel Aviv. So tief man hier auch graben möge, finden würde man ausnahmsweise keine alten Steine, die auf biblische Tage hinweisen. Tel Aviv ist nämlich gerade einmal 100 Jahre alt. 1909 fand am Strand eine Auktion statt, bei der das Siedlungsland versteigert wurde. Das Ziel der Käufer war es, ein israelisches New York zu erschaffen. Als wir durch die Strassen des Zentrums laufen und unsere Augen die Fassaden unzähliger Wolkenkratzer abtasten, stellen wir fest, dass dies durchaus gelungen ist. Und auch die Bevölkerung Tel Avivs gleicht heute in vielerlei Hinsicht der Bevölkerung anderer westlicher Städte. Tel Aviv ist hipp und modern, nach ursprünglicher jüdischer Kultur muss man hier gezielt suchen.
So kommt es einem Kulturschock sehr nahe, als wir für die letzten drei Tage unserer Reise nach Jerusalem fahren. In Haifa wird gearbeitet, in Tel Aviv gefeiert und in Jerusalem gebetet – dieser plakative Satz, der sich vermutlich in jedem neueren Reiseführer findet, hat dennoch in so manchem seine Berechtigung. Wir haben den Eindruck, dass wir in Jerusalem keinen Schritt tun können, ohne eine bedeutende Kirche, konfessionell umkämpftes Gebiet oder wertvolles Ausgrabungsgelände zu betreten. Auf dem Gelände der Grabeskirche etwa scheint es uns, als ob sich Kirchen, Kapellen und Gruften förmlich übereinanderstapeln. Jede Konfession ist hier offensichtlich um einen kleinen Platz nahe Golgatha und dem Grab Jesu bemüht.
Doch ist Jesus überhaupt auf diesem Gelände gekreuzigt und begraben worden? Wie so oft lässt sich auch hier kein definitives Urteil über die Authentizität des Ortes fällen. Am letzten Tag in Jerusalem besuchen wir das erst Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte Gartengrab. Einige Indizien weisen darauf hin, dass die Kreuzigung und Grablegung Jesu eigentlich hier stattgefunden hat. Professor Thiessen will sich in dieser Frage nicht festlegen. Entscheidend sei nicht, so bemerkt er abschliessend, an welcher Stelle er nun genau gekreuzigt wurde, sondern dass Jesus überhaupt gestorben und auferstanden ist.
Wir blicken mit grosser Dankbarkeit auf die gesamte Reise zurück. Es ist ein Geschenk, die Orte der Bibel nicht nur auf Bildern zu betrachten, sondern sie auch besuchen, durchlaufen und erfahren zu können.
An dieser Stelle möchten wir uns als Studierende der STH Basel deshalb besonders für die grosszügigen Spenden aus dem Freundeskreis bedanken, die zweckgebunden für diese Reise gegeben werden und die es uns überhaupt ermöglichen, so eine Reise mitmachen zu können.
Benjamin Splitt, Bachelor-Student