Studientag Theodizee Und Natur 7

Tagung Theodizee und Natur: Ist der Schöpfer gut?

Am 30.10.2021 fand – coronabedingt erstmals seit längerer Zeit – wieder ein Studientag an der STH Basel statt. Er wurde im Hybridformat durchgeführt.

Intelligent Design

Die Thematik ist nicht nur theoretisch von hohem Interesse, sie ist auch geistlich bewegend. Nach der Eröffnung durch Prorektor Pfarrer Dr. Jürg Buchegger zeigte sich dies bereits am ersten Vortrag von Prof. Dr. Siegfried Scherer. Siegfried Scherer leitete bis zum letzten Jahr einen der renommiertesten Lehrstühle für Mikrobiologie im deutschen Sprachraum an der TU München. Zugleich ist Scherer einer der prominentesten Vertreter der Intelligent Design-Bewegung und ein wichtiger Apologet. Seit 2018 lehrt er als ständiger Gastprofessor im Bereich Apologetik, Fachbereich Philosophie, Religions- und Missionswissenschaften an der STH Basel. In seinem Vortrag über „Viren, Parasiten, Raubtiere & Co“ zeigte Siegfried Scherer eindrücklich und durch Filmmaterial, das oftmals nichts für schwache Nerven war, unterstützt, dass die Natur bereits auf ihrer Kleinstebene wunderbar und hochdifferenziert eingerichtet ist. Doch die Kehrseite ist mitzubedenken: Es gibt auch eine „geniale“ Funktionsfähigkeit von Krankheiten, Viren und einen quälenden Tod bringenden Organismen. Oftmals sind diese Leben zerstörenden Organismen analog zu den Kräften eingerichtet, an denen das Wunder des Lebens aufgeht.

Studientag Theodizee Und Natur 1
Prof. Dr. Siegfried Scherer

Siegfried Scherer zeigte, dass die Erkenntnisse über jene Zerstörungsmächte für viele Biologen eine wirkliche Anfechtung ist, durch die sie ihren Glauben anzweifeln oder verlieren. Besonders prominent geschah dies Charles Darwin, der sich angesichts des Übels und des Schmerzes in der Welt und in Trauer über den Tod seiner zehn Jahre alten geliebten Tochter vom Glauben abkehrte. Nicht naturwissenschaftliche Gründe, sondern massive Glaubenszweifel bewegten Darwin auf dem Weg zu seiner Evolutionstheorie.

Scherer legte dar, dass und weshalb unter Biologen am wenigsten unter allen Naturwissenschaftlern gläubige Christen anzutreffen sind.

Philosophisch-religionswissenschaftliche Perspektive

Harald Seubert, Ordentlicher Professor für Philosophie und Religionswissenschaft an der STH Basel, sprach aus philosophisch-religionswissenschaftlicher Perspektive, daran anschließend, über „Naturschönheit und -grausamkeit“. Er bekräftigte einerseits die wunderbare Kraft, Mächtigkeit und Schönheit der Natur, verwies aber auch auf die Bestialitäten im Tierreich und Menschenwelt. Die klassische Theodizee-Sicht und die Leibnizianische These von der „besten aller möglichen Welten“ wurden durch das Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755 erschüttert. Wenn man mit der neuzeitlichen Wissenschaft Natur nur noch neutral im Sinn eines „methodischen Atheismus“,  nicht aber zweckhaft und nicht von einem Schöpfer her versteht, entgeht man der Dimension von Schmerz und Destruktion. Doch man gelangt dann auch in eine Sinnfreiheit und Kontingenz, der durch die Dichtung – vor allem die Lyrik – immer widersprochen wurde. Auch die Lebenserfahrung steht dazu im Widerspruch. Seubert plädierte dafür, das Geheimnis von Natur und Schöpfung anzuerkennen, da mit dem Buch Hiob Gottes Gedanken nicht die Gedanken des Menschen sind. Zugleich aber zeigt sich die geschöpfliche Welt immer wieder in ihrer überwältigenden Schönheit und Macht, ihrem Wohlgefügtsein. Gott anerkennt die Zweifel im Gespräch mit Hiob gegenüber Schönrednereien, und doch mahnt er den Menschen, um seine Grenzen zu wissen. Und er zeigt ihm die Schöpfung, wie es in dem Lied „Saturn“ von Sufjan Stevens hießt, als wäre sie für ihn gemacht.

Studientag Theodizee Und Natur 2
Prof. Dr. Harald Seubert

Biblisch-theologische Aspekte

Am Nachmittag sprach Benjamin Kilchör, Ordentlicher Professor für Altes Testament an der STH Basel. Er bot einen souveränen gesamtbiblischen Querschnitt zum Thema „Lebenskraft und Todesmacht: Die Schöpfung als Freund und Feind des Menschen“. Als zentral erweis sich dabei das Verhältnis von Himmel und Erde und die bundestheologische Orientierung bereits der Schöpfung. Kilchör skizzierte eine „theologische Geografie“, die in der Hebräischen Bibel von Westen nach Osten eine immer weitergehende Entfernung von Gottes Glanz und Gegenwart zeigt. Der Blick auf die Weisheitstradition zeigte, dass Macht und Pracht der Erde nicht zur Weisheit führt, ist diese doch nur bei Gott selbst zu finden.

Deutlich wurde: Diese Welt ist immer eine gefallene Welt. Gerettet werden kann sie nur, wie sich im Alten Testament bereits abzeichnet, wenn Gott selbst Mensch wird. Seubert und Kilchör verwiesen beide darauf, dass diese Welt eine gefallene Welt ist (Röm 8,18ff.): Auch sie seufzt und harrt und wird in Christus im Neuen Himmel und der Neuen Erde (Offb 21–22) ihre neue Gestalt finden.

Studientag Theodizee Und Natur 3
Prof. Dr. Benjamin Kilchör

Heilsgeschichtliche Perspektive auf Urstand und Sündenfall

Sven Grosse, Ordentlicher Professor für Historische und Systematische Theologie an der STH Basel, ergänzte die anderen Vorträge  durch die heilsgeschichtliche Perspektive auf Urstand und Sündenfall. Er zeigte, dass in der neueren evangelischen Theologie, etwa bei Emanuel Hirsch und Paul Tillich, der Bruch zwischen dem Menschen im Schöpfungsplan Gottes und dem gefallenen Menschen auf eine Bewusstseinsstruktur reduziert wird. Demgegenüber komme es darauf an, das Böse in der Natur als Realität der Heilsgeschichte wahrzunehmen.

Studientag Theodizee Und Natur 6
Prof. Dr. Sven Grosse

Die engagierten doch zugleich sehr nachdenklichen Diskussionsbeiträge im Hörsaal und per Zoom bekräftigten und vertieften die Vorträge: Ein denkwürdiger Studientag, der Denken und Glauben, Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften in ein tiefes Gespräch führte, in dem mit der Vernunft an deren Grenzen gegangen wurde: im Blick auf die Wunderbarkeit und Unauslotbarkeit der Schöpfung, die in den Händen ihres Schöpfers liegt.

Prof. Dr. Harald Seubert

Aufzeichnungen

Viren, Parasiten, Raubtiere & Co: Kann die Natur böse sein?

Prof. Dr. Siegfried Scherer – Biologische Aspekte

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Naturschönheit und –grausamkeit. Philosophisch-religionstheoretische Überlegungen zu einer unauflösbaren Paradoxie.

Prof. Dr. Harald Seubert – Religionsgeschichtliche / philosophische Aspekte

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Lebenskraft und Todesmacht: Die Schöpfung als Freund und Feind des Menschen.

Prof. Dr. Benjamin Kilchör – Biblisch-theologische Aspekte

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Erlösung und Urstand

Prof. Dr. Sven Grosse – Kurzreferat

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