Bela Visky

Vortrag / Seminar Über das Verzeihen bei V. Jankélévitch

Gastvorlesung von Dr. habil. Béla Visky

Vergeben, Verzeihen, Versöhnen – die großen Themen der christlichen Theologie, aber auch der Menschheit schlechthin, bekommen vor dem Hintergrund der Frage nach Verjährungsfristen von Gräueltaten und systematischem Genozid eine spezielle Konnotation. Kann und vor allem darf Derartiges verjähren? Und selbst, wenn nicht – wie verhalten sich die oben genannten Begriffe zueinander und wie können sie angemessen gedacht und gelebt werden?

Sándor Béla Visky (geb. 1961, PhD theol., PhD phil., Dr. habil., theologische Studien und Forschungen in Klausenburg, Genf, Budapest, Paris, Edinburgh) ist Professor für Systematische Theologie am Protestantisch-Theologischen Institut Cluj-Napoca (deutsch: Klausenburg), dem historischen Siebenbürgen, heute Rumänien. Er hat sich intensiv mit dem Philosophen Vladimir Jankélévitch (1903-1985) beschäftigt, der den Ruf hat, der Philosoph zu sein, der nicht verzeihen konnte.

Drei große Traditionen sind in seinem Denken miteinander verschmolzen: die jüdische, die griechisch-philosophische und die christliche. Er, der als Sohn jüdischer Einwanderer aus Russland überwiegend in Frankreich wirkte, überlebte das Naziregime. In seinem Werk „Le pardon“ (1967) ist zu lesen: „entweder totale Vergebung oder keine Vergebung“. Kennzeichnend sei für Jankélévitch zudem, dass er oft mit Paradoxien arbeitet, es wird Ja und Nein zugleich gesagt.

Die Liebe ist eine Emotion, die die dunkle Nacht durchdringt. Aber, wenn es so nicht geschieht – was können wir darüber sagen? Das ist das Kreuz der Philosophie.

Jankélévitch wendet sich konsequent gegen die Akzeptanz einer Verjährungsfrist für Nazi-Straftaten. Und wann könne man so etwas verzeihen – ganz ohne Bedingungen, mildernde Umstände finden, die Zeit heilen lassen, so dass Schuld nicht mehr Schuld sei? Bedingungslose Vergebung wie bei Maria Magdalena, ja, aber Verzeihen ohne Reue, ohne Umkehr hat keinen Sinn.

Das Verzeihen bei Jankélévitch ist nuanciert, er akzeptiert frivolité nicht. Leichtfertigkeit darf es dabei nicht geben. Dies gründet in seiner Anthropologie: die Einmaligkeit und Einzigartigkeit des menschlichen Wesens, das in seine Existenz geworfen ist, ein Dunkel ohne Stern – nach dem Zweiten Weltkrieg erst recht. Während die einen sich von den traumatischen Erlebnissen kaum mehr erholen, wirkt es auf Jankélévitch befremdlich, wenn fröhliche deutsche Touristen durch Paris spazieren. In einem weiteren Buch, „Pardonner?“ (1971), konstatiert Jankélévitch:

Die Vergebung ist im Vernichtungslager gestorben.

Und Gott? Welche Rolle fällt ihm dabei zu? Für Jankélévitch ist Gott die Quelle dieser Welt und die Quelle der Liebe – doch beides bleibt unpersönlich. „Was für einen Gott wünscht ihr, an den Jankélévitch geglaubt hat?“, war die Gegenfrage eines Experten zu seinem Gottesbild. Damit werden auch Grenzen der Interpretation in der Forschung aufgezeigt.

Béla Visky nimmt uns hinein in seine Arbeit und das Ringen Jankélévitchs. Dass das Thema in eineinhalb Stunden nicht annähernd ausgelotet werden kann, versteht sich von selbst. Doch gelingt es dem Dozenten, die Tiefe des Themas aufzuzeigen. Prof. Harald Seubert kündigte im Anschluss an den Vortrag an, im kommenden Semester ein Wahlfach Philosophie anzubieten, in dem auch unter Einbeziehung von Jankélévitch hieran selbst gearbeitet werden soll. Eine weitere Möglichkeit, sich dem Thema zu stellen, wird die Auschwitz-Exkursion der STH Basel Ende August sein.

Herr Visky beendet seine Ausführungen mit der These seiner eigenen Ethik: Wenn wir an die uralten Fragen herankommen wollen, was der Mensch denn sei, müssen wir die metaphysische Widersprüchlichkeit anschauen, die auch Jankélévitch bestimmt hat. Den Nazi-Henkern zu vergeben, braucht eine übernatürliche Berührung. Denen zu vergeben, die nie bereut haben, ist nicht gerecht, sie haben es definitiv nicht verdient. Deshalb ist solch ein Vergeben auch übermenschlich. Das Pendel schlägt von Liebe zu Zorn und wieder zurück – die metaphysische Tragödie des zerreißenden, irrationalen Verhältnisses zwischen der Liebe und dem Bösen.

Vladimir Jankélévitch hat dieses Hin-und-Her gelebt: Sein anderes Betätigungsfeld, die Musik, ermöglichte es ihm, mit Nachkommen von Nazi-Verbrechern zusammen zu kommen. Auch wenn er Zeit seines Lebens keinen Fuß nach Deutschland setzte, konnte er vierhändig mit einem Deutschen Klavier spielen.

Doch nur der leidende Gott kann wirklich helfen, so Visky.

Wir danken Béla Visky sehr für seine eindrücklichen und nachdenklich machenden Worte!

Regina Schäfer, BTh. Studentin

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