Am Nachmittag des 25. März 2019 fand an der STH Basel eine Studientagung zum Thema «Offener Theismus, differenziert diskutiert» statt. Ziel der Veranstaltung war es, zu informieren und die Anliegen, aber auch die Probleme und Grenzen der im amerikanischen Evangelikalismus weitverbreiteten, mittlerweile auch im deutschen Sprachraum bekannten Bewegung aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten.
Dr. Manuel Schmid, der 2018 an der Universität Basel über den Offenen Theismus promoviert hat und Dozent am Theologischen Seminar St. Chrischona (TSC) ist, gab eine Übersicht über dessen exegetische, dogmatische und praktisch-theologische Positionen. Er charakterisierte den offenen Theismus als «biblische Reformbewegung». Aussagen der Bibel über Erwartungen Gottes und über seine Enttäuschung angesichts menschlicher Untreue führen zu der Kernthese der Bewegung, dass Gott die Zukunft nicht vollständig vorausbestimmt hat, sondern für die Mitwirkung des Menschen öffnet.
Deutlich wurde, dass die Liebe Gottes für den Offenen Theismus im Zentrum steht und dass er im Besonderen auf die gegenwärtige «postmoderne Kultur» einerseits und auf einen starken Determinismus in der neocalvinistischen Theologie Amerikas andererseits reagiert. Nicht zuletzt verfolgt der Offene Theismus die Absicht, Sinn und Bedeutung des Bittgebetes zu betonen. Gott lasse sich auf die Handlungen und Bitten des Menschen ein und nehme ihn als Bundespartner ernst.
Auf die Ausführungen Schmids ging ich aus philosophischer Perspektive ein: Ich warnte vor der Gefahr, dass die seelsorgerlichen Absichten ein bestimmtes Gottesbild hervorbringen, das das Zeugnis der Heiligen Schrift einseitig wahrnimmt. Es irritiert, dass von der Liebe Gottes die Rede ist, dies aber nicht ausreichend auf Christus als Mitte der Schrift bezogen wird. Der gefallene Mensch ist nie ein Gegenüber Gottes «auf Augenhöhe». Das Anthropomorphismus-Problem (die Gefahr, Gott nach menschlichem Mass aufzufassen) wird im Offenen Theismus zwar erörtert, dennoch erliegt er dieser Gefahr: Besonders kritisierte ich in diesem Zusammenhang das Programm des Offenen Theismus, Gottesprädikate wie Allmacht und Allwissenheit umzuinterpretieren. Die Rede von Gottes «Abenteuer mit der Welt und dem Menschen» ist durch Schrift und Bekenntnis nicht gedeckt.
Daran schloss der Beitrag von Prof. Dr. Johannes Schwanke, STH Basel, an: Schwanke betonte zunächst Verdienste des Offenen Theismus, dass er die Lebendigkeit Gottes und sein Handeln in der Geschichte betone. Er unterstrich dann aber, dass der Offene Theismus nicht hinreichend von der Sünde des Menschen ausgehe. Daraus folgt die Tendenz zur Selbsterlösung, einer Hybris des Menschen im Sinn seiner Mitwirkung an Gottes Heilswerk. Bedeutet dies aber nicht, dass der Mensch an die Weltgeschichte überantwortet wird? Wesentliche Schriftzeugnisse werden im Offenen Theismus unterbelichtet. Schwanke verwies vor allem auf Hosea 3,2, das Buch Hiob und den Römerbrief. Er warf die Frage auf: Bleibt Gott in der Sicht des Offenen Theismus der Herr, Richter und Erhalter der Welt?
Dr. Andreas Loos, TSC, zeigte in seinem leidenschaftlichen Vortrag zum Thema «Die Offenheit Gottes gegenüber den Bitten der Menschen» die grosse Bedeutung des Bittgebets, das aber mit Hilfe des Heiligen Geistes durch die Autorität des Sohnes an Gott den Vater gerichtet werden muss. Loos analysierte, inwieweit der Offene Theismus für die Neuentdeckung des Bittgebets hilfreich sein kann. Er betonte dabei, dass auch für ein sinnvolles Verständnis des Bittgebets Allmacht und Allwissenheit Gottes notwendigerweise festzuhalten sind. Eine Preisgabe dieser Gottesprädikate erfolge deshalb vorschnell.
Ass.-Prof. Dr. Stefan Schweyer, STH Basel, thematisierte aus pastoraler Perspektive, dass der Offene Theismus sich vor allem an konkreten Unheils- und Leidenserfahrungen abarbeite. Die Heilsgewissheit als Einsicht der Reformation komme zu wenig zur Sprache. Er würdigte am Offenen Theismus die Beachtung unterbelichteter biblischer Aussagen, kritisierte aber gleichzeitig den Versuch, daraus ein theologisches System abzuleiten.
Die informative, in sachlich deutlicher, aber menschlich fairer Haltung durchgeführte Tagung zeigte überzeugend, dass neue theologische Thesen in einen umfassenden Rahmen von Theologie und Gemeinde einzufügen und an einer sorgfältigen gesamtbiblischen Theologie zu überprüfen sind.
Prof. Dr. Harald Seubert,
Fachbereichsleiter für Philosophie, Religions- und Missionswissenschaft
Die einzelnen Vorträge
„Der offene Theismus als bibeltheologische Reformbewegung“
Dr. Manuel Schmid, Dozent am TSC
Promotion 2018 an der Universität Basel zum Offenen Theismus
„Freiheit Gottes und Freiheit des Menschen. Philosophische und erkenntnistheoretische Perspektiven zum Gespräch mit dem ‚Open Theism'“
Prof. Dr. Harald Seubert, STH Basel
„Free will defense und klassische Gotteslehre“
Prof. Dr. Johannes Schwanke, STH Basel
Vom Referat von Prof. Dr. Schwanke gibt es keine Audioaufnahme.
„Die Offenheit Gottes gegenüber den Bitten der Menschen“
Dr. Andreas Loos, TSC
„Heilsgewissheit und Unheilserfahrung – pastorale Perspektiven“
Ass.-Prof. Dr. Stefan Schweyer, STH Basel